Zum heutigen Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Wahlrechtsreform
Mit der Veränderung des Wahlrechts vom 17. März 2023 hat die Mehrheit der Ampelkoalition erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland über die Köpfe der Opposition hinweg ein Wahlrecht beschlossen. Dieses neue Ampel-Bundestagswahlrecht benachteiligt in seinen konkreten Auswirkungen offensichtlich die CSU und die Partei Die Linke stark. Die Ampelmehrheit hat damit die gute Tradition verletzt, dass über das Wahlrecht zumindest unter den demokratischen Kräften in der deutschen Politik Konsens bestehen sollte. Diese Regelung, nämlich der Wegfall der Grundmandatsklausel, hat das Bundesverfassungsgericht nun als nicht mit dem Grundgesetz vereinbar erklärt: Zur Vermeidung der Zersplitterung des Deutschen Bundestages ist eine Prozenthürde statthaft, sie muss jedoch abgemindert werden, so wie das die Grundmandatsklausel gewährleistet.
Die andere schwerwiegende Veränderung des Wahlrechts, nämlich die mögliche Streichung von direkt gewonnen Mandaten in Wahlkreisen, hat das Bundesverfassungsgericht hingegen für mit dem Grundgesetz vereinbar erklärt. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts akzeptiere ich selbstverständlich voll umfänglich.
Die Verantwortung für den politischen Schaden, der entsteht, wenn Wählerinnen und Wähler zwar mehrheitlich einen Abgeordneten ihres Wahlkreises wählen, dieser dann aber nicht in den Bundestag einzieht, trägt die Ampelkoalition. Unabhängig von der politischen Heimat des jeweils direkt gewählten Abgeordneten ist es ein Gewinn für die Wählerinnen und Wähler und für den Wahlkreis, wenn es mindestens einen Abgeordneten gibt, der sich für die Belange vor Ort direkt verantwortlich fühlt. Nach dem von der Ampel beschlossenen Passus des Wahlgesetzes wird es zukünftig Wahlkreise ohne Abgeordneten im Bundestag geben. Es bleibt dem Zufall der Listenaufstellung durch die Parteien überlassen, ob überhaupt ein Abgeordneter aus dem jeweiligen Wahlkreis im Bundestag ist, wenn der eigentlich direkt gewählte Abgeordnete der Kappung zum Opfer fällt.
Damit schwächt das von der Ampel verabschiedete Wahlrecht die Akzeptanz der parlamentarischen Demokratie. Solche Fälle werden vermutlich in Baden-Württemberg, in Bayern und im Osten Deutschlands eintreten. In Nordrhein-Westfalen ist eine Kappung von direkt gewonnenen Mandaten zumindest gegenwärtig für die CDU eher unwahrscheinlich. Die Debatte über das aktuelle Ampel-Wahlrecht wird mit Sicherheit neu entfacht werden, wenn Bürgerinnen und Bürger diese negativen Auswirkungen direkt spüren.
Das Ziel der Wahlrechtsreform, den Bundestag zu verkleinern, hatten wir schon einmal erreicht: Dazu hatten wir in der Großen Koalition bereits für die Wahl 2021 eine Bremse eingeführt, die ab der Wahl 2025 verschärft wirksam geworden wäre: Eine Kombination aus einer begrenzten Hinnahme nicht auszugleichender Überhangmandate, verbunden mit der Reduzierung der Zahl der Wahlkreise auf 280 hätte die Gefahr einer erheblichen Vergrößerung des Bundestages wirksam beseitigt und wäre gleichzeitig verfassungskonform. So stand es für die nächsten Bundestagswahlen verbindlich im Gesetz. Aber die Ampel musste unbedingt ihr eigenes Ding machen, das nun das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die Demokratie zu schwächen droht.